Interviews
June 26, 2008
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VANITY FAIR
Germany
Eine Tradition der Dunkelheit
Marc Fischer und Sven Michaelsen sprechen mit Gottfried Helnwein
Kunst, Interview
Gottfried Helnwein malt die Welt seit Jahren als blutende Wunde, voll Verfall und Verletzung.
Wie sah es in Arno Brekers Atelier aus? Helnwein: Überall standen Gips-Plastiken von Negern und Juden herum, die er nach dem Krieg hergestellt hatte. Eine heroisierende überlebensgroße Büste stellte einen beleibten Schwarzen in Uniform und vielen Orden dar. Ich fragte, wer das sei. „Das war der frühere Präsident der Elfenbeinküste“, antwortete er. „Der tauchte in den sechziger Jahren bei mir auf, legte seinen Arm um meine Schultern und sagte: ‚Breker, kommen Sie zu mir an die Elfenbeinküste. Ich werde Ihr zweiter Hitler sein". Breker sollte eine neue Hauptstadt entwerfen, was dieser auch sofort tat. Er zeigte mir das Gipsmodell dieses Utopia in dessen Mitte sich ein gigantischer Platz befand mit der riesigen Skulptur eines Afrikaners - mit zerrissenem Hemd und gesprengten Fesseln, der aufgewühlte Blick und die geballte Faust gen Himmel gerichtet. Auf meine Frage, was aus dem Projekt geworden sei, antwortete Breker mit leiser, resignierender Stimme "Der Präsident ist leider kurze Zeit darauf gestürzt worden" Wie reagierte Breker, als Sie ihn mit Ihrem Beuys-Porträt in der Hand fotografierten? Helnwein: Er hielt das Bild hoch und murmelte: „Das hätte sich der Beuys aber nicht träumen lassen.“
Vanity Fair
2008
Gottfried Helnwein malt die Welt seit Jahren als blutende Wunde, voll Verfall und Verletzung. Nach dem Inzest und Missbrauch von Amstetten wirkt die Kunst des Österreichers aktueller denn je.
Apokalypse
1999
Ein 50-Zimmer-Schloss in der irischen Grafschaft Tipperary. Gottfried Helnwein hat in der Bibliothek Platz genommen, die mit Totenschädeln und alten Arzneigläsern dekoriert ist. Der 59-Jährige blickt auf eine späktakuläre Karriere zurück. Heute zählen der kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger und Hollywood-Grössen wie die Schauspieler Sean Penn, Nicolas Cage und Ben Kingsley zu seinen Sammlern. Im Rudolfinum in Prag läuft derzeit eine Helnwein-Retrospektive.
Beim Gespräch zeigt sich Helnwein als freundlicher und auskunftsbereiter Erzähler.
Herr Helnwein, Sie sind Österreicher und malen seit 40 Jahren misshandelte und missbrauchte Kinder. Sind die Fälle Natascha Kampusch und Josef Fritzl eine Konsequenz österreichischer Zustände?
Österreich hat eine spezifische Tradition der Dunkelheit. Die reicht von Kafka über Sacher-Masoch und Thomas Bernhard  bis zu Hermann Nitsch. Der Wiener Aktionismus konnte nicht in Stockholm entstehen oder einer Stadt, in der es Palmen gibt.  Im Vergleich zu Deutschland sind die Verhältnisse in Österreich viel absurder. Nehmen Sie den Briefbombenattentäter Franz Fuchs. Der hat vier Menschen getötet und dem Wiener Bürgermeister Helmut Zilk eine Hand kaputt gesprengt. Beim Versuch, sich mit einer Rohrbombe umzubringen, verlor er beide Hände. Im Gerichtssaal fuchtelte er mit seinen Stümpfen herum und schrie ununterbrochen Naziparolen. Das ist schon sehr österreichisch.
Schmerz, Folter, stumme Angstschreie: Wann wurde das Ihr Thema?
Ich bin kurz nach dem Krieg geboren und habe noch den Atem des Todes gespürt. Obwohl bis in die 70er Jahre niemand über die Vergangenheit geredet hat, wusste ich von Kindheit an, dass da etwas war.  Ich war wahrscheinlich ein äusserst nervendes Kind, denn ich habe ständig gebohrt und gefragt und nach und nach habe ich alles zusammengetragen, was ich über den Holocaust erfahren konnte, ich wollte jedes Detail darüber wissen.
Irgendwann bin ich in meinen Recherchen in der Gegenwart gelandet und  habe  diese Polizeifotos von Kindern gesehen, oder was von ihnen übrig geblieben ist, nachdem sie von den  Eltern zu Tode gefoltert wurden. Kein Anblick der Sie gut schlafen lässt.
Das war der Moment als ich beschlossen habe Künstler zu werden. Es schien mir der einzige Weg, mich diesem Thema zu nähern. Ich bin aus  humanistischen Motiven Künstler geworden, nicht aus ästhetischen. 
Nehmen Sie beim Malen auch die Perspektive des Täters ein?
Die Lust, Gewalt an Wehrlosen auszuüben, war immer  Teil der Menschheitsgeschichte. Und diese Gewalt war fast immer männlich. Wir verdanken diesem Teil der Menschheit eine nie unterbrochene Kette unbeschreiblicher Qualen und Grausamkeiten, von der Hexenverfolgung bis zum Massaker in My Lai.  Vielleicht ist es ein Defekt, aber meine Verdrängungsmechanismen funktionieren diesbezüglich nicht so gut.  Ich glaube es ist die  Aufgabe des Künstlers,  Zeuge seiner Zeit zu sein,  diesen Wahnsinn festzuhalten und die Menschen daran zu hindern zu vergessen. 
Goya hat in seinen  Zeichnungen und Radierungen die Gräuel des Krieges in all ihren entzetzlichen Einzelheiten dokumentiert, - in der wahrscheinlich vergeblichen Hoffnung, dass sich dadurch die Tragödie nicht immer wieder aufs neue wiederholen muss.
Jugendfotos zeigen Sie als langhaarigen Hippie mit roter Samthose. Wie waren Sie damals?
Als ich 16 war, habe ich Tag und Nacht nur an eines gedacht: die Revolution. Einfach alles sabotieren und kaputt machen und diesen ständigen Fluss an Mittelmäßigkeit, Intoleranz und Stupidität der Autoritäten unterbrechen: Das war mein Sehnen und Streben. Mir erschienen  Umsturz, Anarchie und Ekstase, die einzig möglichen Antworten auf dieses erstarrte System. 
Als wir uns die Haare ein bisschen länger wachsen liessen, obwohl sie die Ohren ja kaum berührten, wurde uns auf der Strasse nachgerufen: "Ihr Gesindel gehört's vergast!" und man bewarf uns mit Steinen. Es gab Lokale mit der Aufschrift: "Für Gammler, Hippies und ähnliches Gesindel Eintritt verboten".
Ich erinnere mich als ich das erste mal die Beatles sah, das war In der "Fox Tönenden Wochenschau", dem damals übliche Nachrichten-Vorpann im Kino. In Ihren engen Anzügen und ihren Pilzfrisuren schritten sie die Gangway eines Fluzeugs hinunter. Da hub ein Raunen an in der Zuschauermenge und jemand rief: „Der Hitler gehört wieder her! Der würde mit diesem Abschaum aufräumen!“ 
Sie begannen bereits als Schüler, sich mit Rasierklingen und Skikanten Hände und Gesicht aufzuschlitzen. Warum?
Es war eine Art ästhetischer Befreiungsschlag, ganz in der Tradition der  Heiligen- und Märtyrerdarstellungen, die sich tief in meine kindliche Seele eingebrannt hatten. Ich habe einen grossen Teil meiner frühen Kindheit in kalten Kirchenschiffen verbracht und diese blutüberströmten, verzückt gen' Himmel blickenden St. Sebastian- und Christusdarstellungen waren die erste visuelle Kunst der ich begegnete. 
Das Blut, welches mir über die Hände oder das Gesicht rann, schaffte augenblicklich Distanz, alles wich zurück und dieser graue zähfliessende Brei schulischen Alltags war jäh unterbrochen. Gleichgültigkeit und Monotonie verwandelte sich in Erstaunen, Entsetzen, Abscheu oder Mitleid. Ich war herausgehoben, erhöht. Ausserdem war es jedesmal ein zutiefst spirituelles Erlebnis von der mitfühlenden schönen Sekretärin des Direktors  verbunden zu werden, meinen Knabenkopf auf ihrem wohlgeformten Busen.
In keinem Helnwein-Porträt fehlt die Szene, wie Sie sich während Ihrer Kunstausbildung beim Aktzeichnen die Handgelenke aufritzen und mit dem austretenden Blut ein Porträt von Adolf Hitler malen. Eine wahre Geschichte?
In Wirklichkeit war es rote Farbe. Früher habe ich das auch immer richtig gestellt, aber es wurde so hartnäckig behauptet, dass ich schliesslich erkannte: es ist die bessere Geschichte.  Auf jeden Fall hatte dieses Hitlerbild die Wirkung eines  Molotowcocktais der in einen Hühnerstall geworfen wird. Die gesamte Professorenschaft flatterte in ihren weissen Arbeitsmänteln herbei, das Blatt wurde beschlagnahmt, und der Direktor hielt mit bebender Stimme eine bewegende Ansprache, in der er uns klarmachte, dass die Zeiten schwer gewesen seien, dass sie alle für das Vaterland gekämpft hätten und dass durch meine Zeichnung der 80-jährige Weltruf der Schule auf dem Spiel stünde. 
Das war der Augenblick in dem ich eine Ahnung von der Macht eines  Bildes bekam.
Wenn Sie nach Ihren Eltern und drei Schwestern gefragt werden, sagen Sie stets: „Mir fällt nichts ein, was ich über die erzählen könnte.“ Woran liegt das?
Meine Mutter lag tagsüber meistens auf dem Bett und las Jerry-Cotton-Hefte und für meinen Vater wird immer  eine Kerze des Angedenkens in meinem Herzen brennen, denn er war es der mir eines  Tages in den frühen 50er Jahren das erste Deutsche Micky Maus Heft überreichte. Eine folgenschwere Handlung, die mein Leben von Grund auf verändern sollte.
Ich trat damals aus der Finsternis des Nachkriegs-Wiens heraus und  blinzelte, weil sich meine Augen  noch nicht  an das gleißende Licht der Sonne  Entenhausens  gewöhnt hatten.  Gierig sog ich die frische Briese ein, die vom Geldspeicher Dagobert Ducks herüberwehte, und ich wusste:  Ich war wieder daheim, in einer vernünftigen Welt, in der man von Straßenwalzen plattgewalzt und von Kugeln durchlöchert werden konnte, ohne Schaden zu erleiden, in einer Welt, in der die Menschen wieder anständig aussahen, mit gelben Schnäbeln oder schwarzen Knäufen als Nase. Und hier traf ich auch jenen Mann, der meinem Leben einen Sinn geben sollte:  Donald Duck. 
Sie waren Ministrant und wurden von Geistlichen unterrichtet. Haben Sie Ihren Katholizismus exorziert?
Meine Kindergartenzeit erlebte ich in der Obhut von Schwester Cäcilinde vom Orden der  Dienerinnen des Heiligen Geistes und in der dazugehörigen Pfarrkirche St. Philomena brachte ich es später bis zum Oberministranten. Lesen und schreiben lernte ich bei den Schulbrüdern und als Jugendlicher spielte ich Theater bei den Jesuiten in der "marianischen Kongregation". 
Ich verdanke der katholischen Kirche nicht nur die grosse Kultur des Abendlandes sondern  auch die Erkenntnis von der Süssigkeit und  der Magie der Unkeuschheit. Verkündigt wurde mir diese frohe Botschaft auf dem Bauernhof meines Grossvaters von einem Engel namens Poldi, welcher von unirdischer Schönheit war. Das Töchterlein des Nachbarn hatte ein rundes, zimtfarbenes Gesicht, dunkle schwere Zöpfe und schwarze Augen, die so tief und tückisch waren wie das Moor, das einen zu verschlingen droht. Ihr süsses Grinsen brachte mein Knabenherz fast um den Verstand.
Sie war es, die mich eines Tages im Fliederbusch hinter dem Haus in die hohen Künste des Doktorspielens einweihte, was meine Hochachtung vor ihrer medizinischen Fachkenntnis und meine Liebe zu ihr ins Unermessliche steigerte. Leider war unser kindlich-rustikales Gomorrha nur von kurzer Dauer, da meine Eltern unser Treiben entdeckten, und in Panik ausbrachen.
Da ich, ohne es zu wissen, eine Todsünde begangen hatte, wurde ich sofort nach Wien geschickt wo ich Seelsorgeunterricht bekam, der im Wesentlichen darin bestand, dass ich für jede Sünde ein Steinchen in eine kleine Krippe legen musste, für jede gute Tat jedoch  einen Strohalm hineinlegen durfte. Es lag also ganz in meiner Hand, wie das Jesuskind liegen würde.  Dann gab es noch eine Dornenkrone, in die ich für jede gute Tat  eine rosa Papierrose hineinflechten durfte.
Nach einer Sondererlaubnis des Erzbischofs durfte ich schliesslich schon mit 5 Jahren zur Frühkommunion, und damit auch zur Beichte, wo ich endlich mein kleines Herz von der Sünde der Unkeuschheit reinigen konnte.
Mit dem Cartoonisten Manfred Deix sind Sie mal zu Fuß von Venedig nach Wien gerannt. Warum tut man so was?
Wir waren 18 und das erste Mal im Ausland. Nachdem wir per Autostopp nach Venedig gekommen waren, fiel uns plötzlich ein, dass wir kein Geld hatten.  Wir kratzen alles zusammen was wir noch in unseren Hosentaschen fanden und teilten uns eine letzte  Pizza.  Da erinnerte  sich Manfred plötzlich an seine appetitliche  Freundin Marietta, die er zu Hause gelassen hatte und brach in Panik aus. Vor seinem geistigen Auge sah er all die Widerlinge, die über sie herfielen, um sie zu befruchten – und rannte los. Ich rief ihm noch nach: „Du spinnst, wir können doch nicht zu Fuß nach Wien rennen!“ Aber wie sich herausstellte: Wir konnten.  Als ich, nach vielen Tagen und Nächten Rennen wie ein Irrsinniger, in Wien meine Schuhe auszog, hatte ich keine  Socken mehr, sie waren durch Blut und Schweiß vollkommen aufgelöst.
Mit Anfang 20 brauchten Sie Jahre, um von einem LSD Horrortrip runter zu kommen. Was war passiert?
Bei meinem zweiten LSD Trip so um 1970 öffneten sich für mich die Pforten der Hölle. ich wusste gar nicht, dass ein derartiges Ausmass an Horror überhaupt möglich ist. Ich war in den Jahren danach zeitweise blind,  verlor mein Gleichgewicht, sodass ich nur mehr kriechen konnte und eines Nachts irrte ich in Panik durch die Strassen, denn ich wusste nicht mehr wer ich war und wo ich mich befand. In dieser Zeit ernährte ich mich vorwiegend von Valium. Der lange Weg aus dieser Unterwelt war eine sehr interessante Erfahrung. In dieser Zeit sind einige meiner Freunde  durch zu viele oder die falschen Drogen gestorben oder  in der Irrenanstalt gelandet. Ich habe seit damals nie wieder irgendwelche Drogen oder Medikamente angerührt.
Ist Ihnen mit LSD ein Bild gelungen?
Hören Sie - Ich wurde auf meinem Höllentrip gerade von irgendwelchen Dämonen in 1000 Stücke zerhackt und über das ganze Universum verstreut. Glauben Sie mir, das letzte woran ich  ich in diesem Augenblick dachte war Bilder malen.
Sie haben vier Kinder, die heute alle selber Künstler sind. Mussten die nicht notwendigerweise Vatermord begehen?
Wenn mir etwas in meinem Leben wirklich  gelungen ist, dann ist es das Leben mit meinen Kindern, meiner Familie.
Es ist wahrscheinlich der einzige Bereich meines  Daseins, der stets völlig konfliktfrei war und  ein nie versiegenden Quell von Freude und Glück. Es ist der Rachefeldzug für die Fadheid und Demütigungen meiner eigenen Kindheit. Ich habe mir schon als Kind geschworen, dass ich eines Tages eine Menge Kinder haben würde,  die vollkommen frei sein würden und die selbst entscheiden könnten, ob sie zur Schule gehen wollten oder nicht. Mir schwebte einer Art gesetzlose verschworene Bande vor, mit der ich durch die Lande ziehen würde. Ungefähr so  ist es dann ja auch gekommen.  Wir haben in den verschiedensten Teilen der Welt gelebt, alle meine Kinder sind Künstler geworden, haben unterschiedliche Staatsbürgerschaften und obwohl sie nun schon selbst Kinder haben, leben wir immer noch zusammen wie eine sizilianischen Grossfamilie. Es hat sich übrigens erwiesen, dass Schlösser für  derartige Lebensmodelle äusserst praktisch sind.
Hat Ihre Frau Einspruch erhoben, als Sie Ihren Sohn auf den Namen „Ali Elvis Donald Dagobert Lancelot Helnwein“ taufen ließen?
Ich wollte ihn außerdem noch „Muhammad“ nennen, nach Muhammad Ali. Dagegen hat sie protestiert. Gottseidank, denn bei der Einreise in die USA ist es heute ein Vorteil nicht so zu heissen.
Schmerz, Blut, Schreie: Waren Sie bei der Geburt Ihrer Kinder dabei?
Nein. Im nachhinein gesehen war das ein Fehler, den ich  bereue, aber ich war damals so in der Arbeit drin, dass ich das nicht wichtig fand. Ich habe meine Frau ins Krankenhaus gefahren und dann zu Hause weitergemalt.
Ein berühmtes Foto von Ihnen zeigt Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker, der Ihr Porträt von Joseph Beuys hoch hält. Wie war die Begegnung mit der Zentralfigur der faschistischen Ästhetik?
Arno Breker holding a Picture of Joseph Beuys
silver print, 1988, 99 x 66 cm / 38 x 25''
Wie sah es in Brekers Atelier aus?
Überall standen Gips-Plastiken von Negern und Juden herum, die  er nach dem Krieg hergestellt hatte. Eine heroisierende überlebensgroße Büste stellte einen beleibten Schwarzen in Uniform und vielen Orden dar. Ich fragte, wer das sei. „Das war der frühere Präsident der Elfenbeinküste“, antwortete er. „Der tauchte in den sechziger Jahren bei mir auf, legte seinen Arm um meine Schultern und sagte: ‚Breker, kommen Sie zu mir an die Elfenbeinküste. Ich werde Ihr zweiter Hitler sein". Breker sollte eine neue Hauptstadt entwerfen, was dieser auch sofort tat. Er zeigte mir das  Gipsmodell dieses Utopia in dessen Mitte  sich ein gigantischer Platz befand  mit der riesigen Skulptur eines Afrikaners - mit zerrissenem Hemd und gesprengten Fesseln, der aufgewühlte Blick und die geballte Faust gen Himmel gerichtet. Auf meine Frage, was aus dem Projekt geworden sei, antwortete Breker mit leiser, resignierender Stimme "Der Präsident ist leider kurze Zeit darauf gestürzt worden"
Haben Sie Breker gefragt, wie er zur so genannten „Entarteten Kunst“ steht?
Ja. Aber aber er hatte ein nicht sehr gut funktionierendes Hörgerat, denn immer wenn ich auf das Thema kam, sagte er: „Ich weiss nicht was mit dem Gerät los ist, ich verstehe nichts.“
Wie reagierte Breker, als Sie ihn mit Ihrem Beuys-Porträt in der Hand fotografierten?
Er hielt das Bild hoch und murmelte: „Das hätte sich der Beuys aber nicht träumen lassen.“
Angenommen, Sie bekommen das Angebot, Josef Fritzl zu fotografieren: Sagen Sie zu?
Ich glaube nicht, dass das sehr ergiebig wäre. Täter interessieren mich eigentlich nicht so sehr, sie haben keine Faszination, kein Geheimnis für mich. Mich haben in meiner Arbeit erster Linie die Opfer interessiert. 
Sie waren mit Marlene Dietrich befreundet. Wie haben Sie sie kennen gelernt?
Anfang der 80er Jahre habe ich für Maximilian Schell  ein Aquarellbild von Marlene Dietrich gemalt, für das Plakat seines Filmes "Marlene". Sie meldete sich eines Tages überraschend bei dem Produzenten und sagte, es sei das beste Portrait, dass jemals von ihr gemacht worden sei.
1990 haben ich dann zusammen mit ihr das Buch „Some Facts about Myself“ gemacht. Wir arbeiteten unter anderem in ihrer Wohnung in Paris. Ich wusste, wie wichtig es ihr war, nicht mehr gesehen zu werden und das respektierte ich. Also sass ich an der Tür im Vorzimmer, sie saß dahinter und hat Zettel unter der Tür durchgeschoben. Oder sie hat ihrer Haushälterin Madame Davis etwas gesagt,  die  es dann weiter gab. 
Wenn ich oder meine Frau  sie anriefen, hat sie sich oft auf französisch oder englisch als Madame Davis ausgegeben und gesagt, Madame Dietrich sei nicht zugegen. Wenn man dann sagte „Ich bin’s“, rief sie: „Ja Kindchen, warum sagen Sie das denn nicht gleich!“ Und dann fing sie an zu plaudern. Meist hat sie mit meiner Frau telefoniert, weil diese sympathischer und charmanter ist als ich. 
Marlene Dietrich gehört zu den Personen, die ich wirklich bewundere, weil sie mit über Neunzig noch so kindlich-lustig war, frech und spontan. Manchmal begann sie plötzlich aus heiterem Himmel zu singen.
Als Greta Garbo starb, rief sie an und raunte in verschwörerischem Ton: „Haben Sie das schon gehört? - Die Garbo ist gestorben. - Woran, das schreibt die Presse natürlich nicht, denn Urinvergiftung würde ja nicht zur 'Göttlichen' passen!   Und wissen Sie was die noch schreiben? - die nächste wird die Dietrich sein"! Dann lachte  sie laut und schallend.
Einige Tage bevor sie starb, hat sie uns noch mal angerufen. Sie lallte und  war kaum zu verstehen, wahrscheinlich als Folge eines  Schlaganfalls.  Kurz nach ihrem Tod rief ihr Biograf David Brat an, dem sie sehr vertraut hatte. Er erzählte uns, dass Marlene ihm telefonisch die Namen von 7 Personen mitgeteilt hätte, die er nach ihrem Tode kontaktieren sollte. Zwei davon konnte er nicht verstehen, unter den restl. 5 waren meine Frau und ich. Da wurde uns erst klar, wie einsam sie  gewesen sein muss.
Zu Ihren Sammlern zählen Sean Penn, Arnold Schwarzenegger, Ben Kingsley, Nicolas Cage und Robert Wilson. Stimmt es, dass Sie manchmal um Rückgabe Ihrer Bilder bitten, um weiter an ihnen zu malen?
Es passiert manchmal, dass ich bei einem Sammler nach langer zeit wieder ein Bild von mir sehe und denke:  Oh, mein Gott, da müsste ich noch was dran machen!  Zuletzt habe ich  Andrew Lloyd Webber, der in Irland quasi mein Nachbar ist, gebeten, mir ein Bild noch einmal für eine Woche zu leihen. Die übliche  Sorge ist: "Werden wir unser Bild wiedererkennen?" Aber meine Übermalungen sind sehr subtil und in der Regel wird das Bild dichter und besser.
Gibt es Bilder, die Sie nicht verkaufen?
Ich versuche immer wieder Bilder für meine eigene Sammlung zurückzuhalten, aber es gelingt mir meistens nicht.  Irgenwann verkaufe ich sie doch. Wenn ich dann ein paar Jahre später versuche, ein Bild wieder zurückzukaufen – muss ich  immer an  Joseph Beuys denken, der einmal gesagt hat: „Ich kann mir leider meine eigenen Bilder nicht mehr leisten.“
Was kostet derzeit ein Helnwein?
Die großen Formate beginnen bei 300 000 Euro.
Haben Sie noch Kontakt zu Ihrem Jugendfreund Manfred Deix?
Ja. Während wir malen, telefonieren wir oft stundenlang mit einem Headset auf dem Kopf. Und alle heiligen Zeiten treffen wir uns  und heben ein Helles.
Sie Telefonieren beim Malen?
Ja. Das geht aber nur mit Freunden. Ich höre auch Audiobooks beim Malen. Ich hätte ja nie die Zeit all das zu lesen was mich interessiert. So aber entkommt mir keiner: Fontane, Goethe, Novalis, Eichendorff, Stifter, Dostojewski, Elfriede Jelinek, Burroughs, Joyce... Von Thomas Mann habe ich ein Ding nach dem anderen weggehört. Das war wie ein Rausch. Da konnte ich neun Stunden malen. Es war eine Sprachflut, die mich einfach weggetragen hat. Da habe ich vielleicht zum ersten Mal gedacht: Deutsch ist eine phantastische Sprache!
Welche lebenden Autoren hören Sie?
Vor vielen, vielen Jahren sagte ein Galerist in Wien zu mir: „Du musst die Elfriede Jelinek lesen. Ihre ‚Klavierspielerin’ ist wie deine Bilder.“ In ihrem Werk spüre ich eine grosse Nähe und seltsame Vertrautheit.
Was hängt bei Ihnen außer Helnwein an den Wänden?
Arbeiten von Carl Barks, dem ich Entenhausen verdanke.
Gibt es andere lebende Maler, die Ihnen gefallen?
Das Werk Anselm Kiefer berührt mich sehr und Gerhard Richters RAF-Zyklus gehört zu den wichtigsten Werken des 20 Jhds. Neo Rauch war wie ein Wolkenbruch nach einer langen Dürreperiode in der das Mittelmass und der Schwachsinn dominierte. Ich mag auch Mark Tansey, Lucian Freud und vor allem Francis Bacon, aber der lebt ja nicht mehr.
Warum haben Sie einen zweiten Wohnsitz in Los Angeles?
Los Angeles ist der aufregendste Ort an dem ich je gearbeitet habe, - ich habe mich noch nie so frei gefühlt. Diese Stadt ist ein Moloch in dem 140 verschiedene ethnische Gruppen leben und in der jede Form von Religion existiert, die der Mensch je erfunden hat, von der Church of Satan bis zu den Chassidischen Juden, die am Shabbat wie ihre gallizischen Vorfahren mit riesigen Pelz-Rädern und Kaftanen angetan mit ihren Kindern unter Californischen Palmen spazieren gehen. Es gibt die Viertel der Reichen, in denen man all die erstaunlichen Mutanten bewundern kann, die die chirurgische Schönheits-Industrie erschaffen hat, und ganze Strassenzüge in Downtown, in denen tausende Obdachlose leben, und wo diese verlorene Seelen Tag und Nacht , mit sich selbst schimpfend und wild gestikulierend, durch die Strassen irrlichtern. Diese Stadt ist wie eine offene Wunde, die niemand zu verbinden versucht. Sie ist der äusserste Vorposten einer untergehenden Zivilisation, und wenn Sie die unkaschierte Version der westlichen Welt "Now" sehen wollen, dies ist der Ort. Manchmal komme ich mir vor wie in ",Blade Runner", wo der Zusammenbruch aller Werte eine neue comic-haft, apokalyptisch-surreale Ästhetik gebiert. Wenn die Welt schon untergeht, will ich das offenen Auges erleben, bei vollem Bewusstsein, bis zum letzten Augenblick.
Warum sieht ein scheuer Mensch wie Sie seit 40 Jahren so auffällig aus?
Was soll ich dazu sagen? - Vielleicht  gefällt es mir einfach so. Als Kind erschien mir das höchste Ideal künstlerischer Existenz, Mitglied der Rolling Stones zu sein. Rückwirkend betrachtet finde ich dass ich da nicht ganz falsch gelegen bin, denn Rockmusiker scheinen im Gegensatz zu uns Malern vor allem eines zu haben: more cash and more fun. 
Ich nehme an,  diese Zeit hat mich geprägt, denn wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich lieber wie Keith Richards aussehen als wie Stoiber.
Wird man Sie mit Stirnband beerdigen?
Da ich nirgends aufgebahrt sein werde, ist mir das völlig wurscht. Vielleicht wird meine Asche über Irland ausgestreut werden. Ich werde jetzt beginnen, darüber nachzudenken.
Ihr Hass gegen Bevormundung geht so weit, dass Sie noch nicht mal krankenversichert sind.
Ich bin ja nicht krank und habe seit 30 Jahren nicht mal eine Kopfschmerztablette genommen. Weder ich noch meine Kinder waren jemals versichert.   Wozu auch? Um Formulare auszufüllen und Bürokraten zu beschäftigen?
Haben Sie mal geraucht?
Ich habe es probiert, weil es mir von der Pose her gefallen hätte. Aber die Vorstellung die Lunge voll Rauch zu haben fand ich grauenhaft. Auch Alkohol hat mir eigentlich nie geschmeckt, nur der Zustand des Rausches hat mir in meiner Jugend eine zeitlang sehr gefallen. Heute trinke ich höchstens mal ein Bier mit Freunden.
Sie werden im Oktober Sechzig. Wird es ein glamouröses, mit 4000 schwarzen Rosen geschmücktes Fest geben wie zur Hochzeit Ihres Freundes Marilyn Manson, die Sie auf Ihrem Schloss ausgerichtet haben?
 Ich habe meine Geburtstage nie gefeiert. Da fehlt mir das Bedürfnis. Ich wüsste nicht, was man da genau feiern soll.
Spukt es in Ihrem Schloss?
Ich glaube ja. Eine weisse Dame treibt hier ihr Unwesen, manchmal hört man sie singen oder verschlossene Türen springen plötzlich auf.  Aber einmal hat sie es richtig krachen lassen: Am Tag vor ihrer Hochzeit mit Marylin Manson lag Dita von Teese hier in der Badewanne. Sie stieg heraus, trocknete sich ab und in der Sekunde als sie aus dem Badezimmer trat, stürzte ohne ersichtlichen Grund die gesamte Decke ein. Einen Augenblick vorher, und Dita hätte jetzt ein schönes Mausoleum in unserem Park, und Manson hätte sich nicht ein Jahr später wieder von ihr scheiden lassen müssen.
Ich denke das ganze Getriebe und die Hektik vor der Hochzeit ist der alten Dame ohnehin schon mächtig auf den Geist gegangen, aber als sich dann noch Dita in ihrer ganzen Pracht nackt vor ihr in der Wanne räkelte, platzte ihr einfach der Kragen. Welche Frau, vor allem wenn sie so viele Jahrhunderte vernachlässigt wird, wäre da nicht eifersüchtig geworden.
Ihre Frau hat Ihnen zum letzten Geburtstag ein paar Enten geschenkt.
Das ist eine schöne Sammlung mit den verschiedensten Arten. Wir lassen gerade im Park einen Teich für sie anlegen.  Zu Ehren von Donald Duck brauche ich aber noch ein paar fette weiße Hausenten. Ich will endlich mein eigenes Entenhausen!
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*Im Rudolfinum in Prag läuft bis zum 31.8. die Helnwein-Retrospektive „Angels Sleeping“
2008




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