Interviews
Das-Boese-ist-immer-relativ
October 27, 2013
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Frankfurter Rundschau
Das Böse ist immer relativ
Arno Widmann
warum der Maler Gottfried Helnwein in seinem Werk Epiphanie I, (Anbetung der Könige) SS-Offiziere auftreten lässt
Gottfried Helnwein ist einer der bekanntesten lebenden Maler. In der Albertina in Wien gab es gerade eine große Retrospektive seiner Werke. In diesem Gespräch geht es nicht um die anderen berühmten Bilder Helnweins, die von verletzten Mädchen oder die, auf denen er selbst dargestellt ist als Geschundener, oder seine Arbeiten für das Theater. Wir sprechen über ein einziges Bild, über „Epiphanie I (Anbetung der Könige 3), 2013. Wir tun das - ich bin in Berlin, Helnwein in Irland - in einem einstündigen Telefongespräch.
Epiphany I (Adoration of the Magi)
mixed media (oil and acrylic on canvas), 1996, Denver Art Museum
Ich sah das Bild erst jetzt in der Albertina. Es ist datiert: 2013. Inzwischen fand ich es in einem Katalog. In dem steht 1996.

Das sind unterschiedliche Versionen. Das Bild von 1996 hängt im Museum in Denver. Es war das erste. Zwei weitere folgten. Das letzte ist das von 2013 in der Albertina.
 
Die Unterschiede müssen minimal sein. Ich habe das Denver-Bild  nur in der Abbildung gesehen...

Bei der verkleinernden Reproduktion verschwinden die Details. Im Original würden sie die Unterschiede sehen. Die Komposition ist im Prinzip die gleiche, aber die Bilder sind unterschiedlich groß, und sie unterscheiden sich in der Farbigkeit, in der Nuancierung. Es sind subtile Unterschiede.
 
Diese Subtilitäten interessieren Sie...

Es gibt Themen, Bilder, die lassen einen als Künstler nicht los. Man kommt immer wieder darauf zurück, malt sie wieder und wieder. Denken Sie zum Beispiel an die verschiedenen Versionen von Edvard Munchs Schrei.
 
Sie malen das ganze Bild noch einmal, um an einer Stelle etwas heller oder dunkler zu machen?

Es ist der Prozess des Malens der etwas Meditatives hat. Ich male das Bild nicht neu, um eine Stelle anders zu malen, als ich sie zunächst gemalt hatte.  Ich male das Bild noch einmal, weil ich es noch einmal malen möchte. Die Unterschiede ergeben sich.
 
Sie malen alles selbst? Da gibt es keinen Assistenten?

Ich mache alles selbst. Ich habe zu wenig Vertrauen. Eigentlich wäre es nicht schlecht, einen Assistenten zu haben. Die alten Meister arbeiteten immer in Werkstätten. An einem Rubens-Bild haben viele Hände gearbeitet. Damien Hirst und Jeff Koons malen überhaupt nichts. Da gibt es ein Heer von Angestellten, die die Kunstwerke produzieren.  Irgendetwas dazwischen fände ich nicht schlecht, aber bisher habe ich noch niemanden gefunden, dem ich das anvertrauen wollte.. Ich habe immer alles allein gemacht.
 
Warum beschäftigt Sie das Thema so besonders?

Mitte der 90er Jahre habe ich mich in meiner Arbeit das erste Mal mit christlicher Ikonographie beschäftigt und ich begann mich für historische und kunsthistorische Bezüge in meiner Thematik zu interessieren.
Mir ist aufgefallen, dass es in der Abendländischen Kunst eigentlich nur eine sehr begrenzte Anzahl von Themen gab, die Künstlern zur Verfügung standen. Aus der griechischen Mythologie und vor allem aus dem Christentum. Interessant ist, dass jeder Künstler die biblischen Themen in seine eigene Zeit versetzte und in seiner Gegenwart stattfinden liess.  Die Weisen aus dem Morgenland waren bei Veronese Venezianer und bei Dürer Nürnberger.  Ich überlegte, wie wohl die "Anbetung der Könige" bei einem Künstler aussehen würde, der kurz nach dem Holocaust geboren ist und in Deutschland lebt. Und ich beschloss dieses Thema, dass durch so viele Jahrhunderte immer wieder neu dargestellt wurde,  in meine Zeit zu versetzen.  
 

Das hätte 1996 doch zum Beispiel die Band Oasis sein müssen und nicht die SS. Sie haben die Geschichte doch gerade nicht in Ihre Gegenwart gesetzt.

Es geht nicht um Jahre oder Monate, sondern um eine Epoche.  Der Holocaust hat mich von klein auf beschäftigt. Es ist das Erbe, das meine Eltern hinterlassen haben, es sind die Geister dieser Generation, die in meiner Gegenwart herumspuken. Ich bin sie ja nicht los. In der Vergangenheit wurden die heiligen 3 Könige immer wieder auch sehr martialisch dargestellt, in schwarzen Rüstungen und mit Schwertern bewaffnet.

 
In vielen Besprechungen des Bildes heißt es, das Jesuskind sei Hitler.

Das war eigentlich nicht meine Absicht, aber ich gebe zu, man kann es tatsächlich so sehen.

 
Die Frisur... Haben Sie das Bild vor sich?

Nein, aber ich weiß genau, wie es aussieht. Marcel Duchamp hat gesagt: 'Die Kunst ist ein 2-poliges Produkt: 50% ist der Künstler, - 50% der Betrachter, und das was zwischen diesen beiden Polen stattfindet, ist so etwas ähnliches wie Elektrizität'. Bei einem Kunstwerk ist in der Regel viel weniger geplant oder konstruiert, als die meisten Betrachter glauben. Ich habe eine Vorstellung. Die setze ich um. Dieser Vorgang ist eher spontan und intuitiv, und sehr viel Denken ist da nicht involviert. Dann trete ich zurück und sehe, was ich gemacht habe. Wenn das Werk aus meiner Obhut entlassen ist,  geht es in die Hände der Betrachter über, die nun ihren Teil tun müssen. Von da an entwickelt das Werk eine Eigendynamik.
Ich muss sagen, ich habe von meinem Publikum eine Menge gelernt. Es gibt da immer wieder höchst überraschende Interpretationen, die oft sehr schlüssig sind. Und sie zeigen mir manchmal etwas in meiner Arbeit, das mir bis dahin nicht bewusst war.
 

Die Heiligen Drei Könige sind bei Ihnen SS-Offiziere, die Vertreter des radikal Bösen.

Im Bild sehen Sie das nicht. Es sind gutaussehende junge Männer in Uniform dargestellt, die in sehr respektvoller Haltung um eine junge Frau mit Kind gruppiert sind. Die Symbole auf ihrem Kragen erinnern Sie an etwas negatives, gefährliches aus Ihrem Erfahrungshintergrund. Das Böse ist immer relativ. Die Kreuzritter zum Beispiel, die in Jerusalem jedes lebende Wesen in Stücke zerhackt haben, waren  aus der Sicht der Muslime gewiss Vertreter des Bösen.
 
Aber doch nicht aus der Sicht des Künstlers. Sie stellen die SS um den Messias.


Es ist eine vertraute Szene aus der christlichen Ikonographie, hineingestellt in eine Versammlung wirklicher, identifizierbarer Menschen.  Auf dem Archivfoto, das ich als Vorlage verwendet habe, stehen die SS-Männer um Adolf Hitler. Der junge Mann links vorne zum Beispiel ist SS-Standartenführer Max Wünsche, Hitlers persönlicher Adjutant. Als ich das Bild in einer Münchner Inszenierung von Heiner Müllers Hamletmaschine einsetzte, wollte seine Witwe gerichtlich gegen mich vorgehen, sie behauptete durch meine Darstellung würde ihr Mann als Rassist diffamiert. Was gut und böse angeht: In einem 30-seitigem Brief beteuerte sie, dass ihr Mann ein guter Mensch gewesen sei, der durch mein Bild entehrt würde.
In der Neonazi-Welt ist Max Wünsche übrigens heute noch ein Held. Es gibt sehr realistische Action-Puppen von ihm, mit allen Uniformen und Rangabzeichen, die man über das Internet erwerben kann.
 

Wer war die Maria?

Eine Schweizer Studentin.
 
Den Jesus hat sie mitgebracht?

Nein, das war ein Nachbarskind.
 
Sie haben die dann fotografiert?

Ich habe Hunderte von Fotos gemacht.
 
Maria blickt auf das Blatt Papier. Darf ich daran einen Gedanken verschwenden?

Wie Kandinsky sagt: In der Kunst ist alles erlaubt. Sie können sich alles Mögliche dabei denken. Es könnte auch ein Verkündigungsbild sein. Die keusche Magd und der stolze Engel, der ihr eine Botschaft überbringt.
 
Worauf schaut der Mann auf der rechten Seite des Bildes?

Viele Betrachter sind überzeugt, dass er auf den Penis des Kindes sieht, um zu sehen, ob er beschnitten ist. Im Dritten Reich konnte dieser Umstand über Leben und Tod entscheiden. Hitlerjunge Salomon  hatte eine panische Angst davor, von irgendjemanden beim Duschen nackt gesehen zu werden.
 
Die Szene spielt nicht  in oder vor einem Stall. Sondern in einem engen, geschlossenen Raum.


Einem dunklen Raum. Es gibt keinen Fluchtweg. Das Bild hat etwas Klaustrophobisches.  Man spürt die Spannung in dieser Begegnung.  Wenn SS-Leute, und seien sie es noch so respektvoll, um einen herumstehen, so ahnt man das Potential der Gefahr. Wie bei einem Tiger, der jeden Augenblick losschlagen kann. Es ist ein Moment zwischen Anbetung und Tod.

 
Ich war erschrocken, als ich vor dem Bild stand. Ich weiß bis jetzt nicht warum.

Ich beobachte oft, wie bewegt und berührt Leute vor diesen Bildern stehen. In meinen Ausstellungen gibt es immer wieder Leute, die so erschüttert sind, dass sie zu weinen beginnen.

 
Bei den verletzten Mädchen verstehe ich das. Aber wo kommt beim Anblick dieses Bildes mein Schrecken her?

Ich denke, Kunst kann etwas in uns berühren, von dem wir selbst nicht wissen, dass es da ist.
Ich war kürzlich im Prado. Zum ersten Mal. Die Goyas dort, haben mich zutiefst getroffen. Ich weiß auch nicht warum , aber sie haben etwas in mir aufgewühlt, das mir auf seltsame Weise, schmerzhaft vertraut ist. Aber erklären könnte ich es nicht.
Oder Rembrandts 'Vorsteher der Tuchmachergilde': In Ermangelung der Fotografie haben sich sechs holländische Kaufleute in ihren schwarzen Anzügen und Hüten malen lassen. Sie sitzen einfach da und blicken auf den Betrachter. Sie haben keinerlei historische Bedeutung und ihre Namen sind unbekannt. Obwohl mir die dargestellten Personen vollkommen egal sind, hat mich das Bild umgehauen, als ich es das erste mal sah. Ich war so erschüttert, das mir die Tränen kamen. ich stand vor einem vibrierendes Energiefeld, aus dem mich sechs lebendige Individuen anblickten.





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