Interviews
Die-120-Tage-von-Sodom
May 25, 2015
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BZ
Berlin
Die 120 Tage von Sodom
Dirk Krampitz
Volksbühne: Das Gruselkabinett des Horror-Künstlers
Für Kresniks „Die 120 Tage von Sodom“ schuf Gottfried Helnwein das Bühnenbild. Der B.Z. stand der Horrorkünstler Rede und Antwort.
Es ist eine Orgie aus Sex und Gewalt, kein Wunder, dass Pier Paolo Pasolinis Film „Die 120 Tage von Sodom“ 1975 bei Erscheinen sofort verboten wurde. Nun bringt Regisseur Johann Kresnik den Skandal-Film auf die Bühne. Und kein Geringerer als der Horrorkünstler Gottfried Helnwein (66) entwirft das Bühnenbild. Die B.Z. traf ihn zum Gespräch.




'The 120 Days of Sodom, based on de Sade and Pasolini, Johann Kresnik und Gottfried Helnwein, Volksbühne, Berlin
2015
Warum finden Sie und Johann Kresnik immer wieder für Inszenierungen zusammen?


Hans Kresnik hat mich zum Theater gebracht, er hat mich vor allem vom Tanztheater überzeugt. 1988 haben wir zusammen Macbeth in Heidelberg inszeniert und seitdem haben wir immer wieder zusammengearbeitet.
Ich war fasziniert von den Möglichkeiten den Körper als ästhetisches Element einzusetzen, um in Bereiche des Ausdrucks vorzudringen, wo weder Sprache noch Bilder hinkommen.
 Kresnik ist ein idealer Partner für mich, wir entwickeln die Stücke zusammen, was den Inhalt betrifft, wir haben die gleichen Intentionen und wir kommen aus der selben künstlerischen und politischen Heimat.
Ich habe gesagt: ‘Kunst ist für mich eine Waffe mit der ich zurückschlagen kann’. Kresniks Postulat war immer: ‘Auf der Bühne wird weitergekämpft’.

Spielt Ihre gemeinsame Nationalität eine Rolle?

Nicht die Nationalität, aber  die Kulturtradition aus der wir kommen, die gemeinsame Sprache. Wir sind die Nachkriegsgeneration, wir sind so vertraut, dass wir uns nichts mehr erklären müssen.
Warum die „120 Tage von Sodom“, nach de Sade und der Pasolinis Film?


Pasolini hat de Sades Gewaltphantasien verwendet, um die zerstörerische Kraft des Faschismus zu demonstrieren, aber er hat schon in den 60er und frühen 70er Jahren vorausgesagt, dass ein neuer Faschismus kommen wird, der bei weitem zerstörerischer sein wird als der historische: der ‘Konsumfaschismus’, wie er ihn nannte.
Pasolini war ein Visionär. Poetisch und politisch. Er hat den Sieg des Kapitalismus, die Diktatur der internationalen Banken und Konzerne, die heute jeden Bereich unseres Lebens durchdringen und das Schicksal der Menschen und Nationen bestimmen, schon damals vorausgesagt.
Ist es Zeit für eine Revolution?

Die Revolution wird nicht mehr kommen. Proteste auf der Straße sind heute irrelevant, das einzige, was der Military Industrial Complex  noch fürchtet, ist das Internet. Wie empfindlich, ja hysterisch die amerikanische Regierung reagiert, sieht man an den Fällen Manning und Snowden.
Das klingt nicht so, als würden Sie das Amerika von heute gutheißen. Sie leben aber die Hälfte des Jahres in Los Angeles.


Amerika ist ein Teil meiner Heimat, ich liebe dieses Land. Walt Disneys Donald Duck und Entenhausen waren meine  Rettung im Nazi-verseuchten Nachkriegs-Wien. Ich verdanke diesem Land eine Menge, ich habe viele Freunde dort, und meine Enkelkinder sind amerikanische Staatsbürger. Aber es ist schrecklich zu sehen, wie Banken und Grosskonzerne  mittlerweile jeden Aspekt des Lebens kontrollieren , wie zB. Monsanto, der Konzern, der Agent Orange nach Vietnam geliefert hat,  dabei ist,  das absolute Nahrungsmittelmonopol an sich zu reissen und  alle Lebensmittel systematisch vergiftet.

Die andere Hälfte des Jahres leben Sie in Irland.


Ich lebe in zwei völlig gegensätzlichen Welten. In Irland komme ich mir vor wie Caspar David Friedrich in der Romantik und Stille der irischen Landschaft,
aber ich könnte nicht leben ohne die Realität der urbanen Dekandenz. Ich will den Untergang und das Ende wenigstens  bewusst erleben, und diesbezüglich ist Los Angeles wahrscheinlich die beste Stadt der  Welt. Ich meine das nicht sarkastisch.
Das Sterben, der Zerfall einer grossen Zivilisation entfaltet immer auch eine ganz eigene Ästhetik.

Kennen Sie auch Selbstzweifel, etwa Angst vor der Premiere?


Während der Premiere sitze ich mit Hans in der gemütlichen DDR- Kantine und wir sehen die Vorstellung auf einem kleinen Fernseher an.
Ich habe noch nie ein Problem mit meinem Publikum gehabt, aber die Kritiker werden wahrscheinlich wieder einmal durchdrehen, was nur bestätigen würde, dass wir irgendwas richtig gemacht haben. Ich habe immer mit Gegenwind gearbeitet, meine Ausstellungen sind abgebrochen, und Bilder beschlagnahmt worden. Wenn mich die ganze Spiessergesellschaft plötzlich umarmen würde, wäre das wahrscheinlich ein totaler Schock für mich.

Warum wurden Sie Schlossbesitzer?


Schlösser sind sehr praktisch, wenn man grosse Atelierräume braucht und einen Haufen Kinder hat.

Warum Kinder?


Ich war als Kind empört, dass man mich nicht ernst genommen und wie einen Untermenschen behandelt hat.
Ich habe mir damals geschworen, mich zu rächen und einmal selbst Kinder zu haben, die alles dürfen und in völliger Freiheit aufwachsen.
Ich habe mich nie als Vorgesetzter gesehen sonder als Verbündeter. Und siehe da: alle meine Kinder sind Künstler geworden.

Sie arbeiten auch oft mit Kindern. Warum?


In dieser Phase des Menschseins ist noch etwas intakt, das
durch die bürgerliche Erziehungsmaschinerie systematisch zerstört wird:  Unschuld oder Reinheit, um einen leider oft missbrauchten Begriff zu verwenden, Spontanität, Imagination, Kreativität.
Wenn ich meiner Enkeltochter beim Malen zusehe, denke ich immer:  sich so ungehemmt und impulsiv ausdrücken zu können, ist der Traum jeden Künstlers.

Ist Geld ein Antrieb für Sie?


Ich habe nie etwas geerbt und mir ist nie etwas geschenkt worden. Ich habe nie spekuliert  und ich habe noch nie eine einzige Aktie besessen. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie in irgendetwas anderes investiert als meine Kunst und meine Kinder.
Es ist  ein gutes Gefühl zu wissen, dass alles was ich habe,  
aus dem Erlös meiner Arbeit stammt.

Was machen Sie dann mit dem Geld, wenn Sie es nicht anlegen?


Ich lagere es in meinem Geldspeicher, damit ich von Zeit zu Zeit darin schwimmen kann, wie Dagobert Duck.
Viele Menschen starten in der Jugend radikal und werden konservativ ...


Schily, Fischer und Mahler sind gute Beispiele dafür.
Als sie den ‘Marsch durch die Institutionen’ angetreten haben, sind sie links unten hineinmarschiert und ganz rechts oben sind sie wieder herausgekommen. Fein geschrotet und gemahlen. Bei diesem Marsch haben eindeutig die Institutionen gewonnen.
Mahler war dabei noch der Konsequenteste, er ist gleich durchmarschiert bis in den Vorstand der NPD.

Ich glaube, dass man als Künstler immer eine gesunde Distanz zur bürgerlichen Gesellschaft halten sollte, da die Umarmung durch sie, den Tod der Kunst bedeuten kann.







2015




'The 120 Days of Sodom, based on de Sade and Pasolini, Johann Kresnik und Gottfried Helnwein, Volksbühne, Berlin
2015




Helnwein working on the installation for the stage of "The 120 Days of Sodom", after de Sade and Pier Pasolini, collaboration with Johann Kresnik, Volksbühne Berlin
2015
"The 120 Days of Sodom" after de Sade and Pier Pasolini, Gottfried Helnwein at the installation on the stage
2015, Volksbühne, Berlin




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