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May 28, 2013
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Falter
BLUT AM HEMD, GABEL IM AUG
Nicole Scheterer
Helnwein Retrospektive in der Albertina
...Ausstellungen wurden geschlossen, Bilder beschlagnahmt. Im Jahr seiner ersten Albertina-Schau 1985 wird ihm die Nachfolge seines Lehrers Hausner verwehrt. Jahrzehnte später sind seine Bilder aktueller denn je. Leicht könnte man beim Grossformat "Kindskopf (Anna)" an Natascha Kampusch denken oder das ins Eck gedrängte Mädchen in "Das Lied II" mit dem Missbrauch durch Erzieher und Priester in Verbindung bringen. Das Kind wird bei Helnwein zum Stellvertreter des ohnmächtigen Menschen. Der Künstler verstand es, die fatalen Autoritäts- und Verdrängungsmuster ins Bild zu setzen, als die Gesellschaft noch weitgehend blind dafür war.
Bereits als kleiner Bub fühlte er, dass etwas nicht stimmte. Seine Eltern waren gebrochene Menschen. Ein vornehmes, älteres Ehepaar aus der Nachbarschaft wurde nur im Flüsterton "die Juden" genannt. Also lernte der Bub schon bald lesen, um endlich mehr zu erfahren. Aber was die Zeitungen berichteten, verstand er wiederum nicht: Bei Kriegsverbrecherprozessen wurden offensichtliche Mörder freigesprochen.
Ja, Gottfried Helnwein erinnert sich noch gut an das Wien der 1950er-Jahre. "Die Kindheit ist die interessanteste Phase des Lebens, weil noch alle Möglichkeiten offensten", erklärt der vierfache Vater sein Lieblingssujet. "Ich bin der Erste, der Kinder zum Zentralthema seiner Kunst gemacht hat."
Und was für welche: Bereits aus dem Aquarell, mit dem sich Helnwein 1969 auf der Akademie der bildenden Künste beworben hat, spritzt Blut aufs Rüschenkleiderl. Professor Rudolf Hausner erkannte das Talent hinter der Mordszene mit Zwillingen und holte den Sohn eines Favoritner Postbeamten in seine Meisterklasse.
Mit seinen gegenständlichen Sujets blieb Helnwein jedoch Einzelgänger. "Auf der Akademie hiess es, Realismus sei Kitsch. Nur die abstrakte Malerei zählte." Den amerikanischen Hyperrealismus jener Zeit, der die Pop-Art beerbte, kannte der Kunststudent noch nicht. Ab den frühen 1970er-Jahren inszenierte Helnwein auch Fotos, die am Beginn der Albertina-Retrospektive neben seinen detailgenauen Malereien einbandagierter Kinder hängen.
Die Fotoserie "Aktion Sorgenkind" entstand in Zusammenarbeit mit der kleinen Sandra, die als schwer erziehbar galt. Helnwein legte sich aber auch selbst mit umwickelten Augen auf die Strasse oder bandagierte fürs Familienfoto seine Kinder ein. Dass die Wiener Aktionisten Verbandszeug schon eine Dekade zuvor als bedeutungsschwangeres Material entdeckt hatten, erfuhr der Künstler erst viel später.
So wie die Rituale der Aktionisten wurzelt auch Helnweins Kunststart im Katholizismus, von dessen Gewicht er sich über Darstellungen kleiner Märtyrer zu befreien sucht.
Helnweins Frühwerk geht heute noch unter die Haut: für erschreckende Bilder wie "Kleine Korrektur" mit einem überwucherten Säuglingskopf studierte er alte Medizin Bücher. In "Der Eingriff" bohrte sich ein Metallrohr in dem Mund eines festgeschnallten Mädchens; auch Männerfinger penetrieren den Kindermund. Das heisse Eisen sexualisierter Kinderdarsstellungen hat Helnwein aber nie berührt.
Im Profil erscheint 1979 sein Schockbild "Lebensunwertes Leben", auf dem ein totes Kind zu sehen ist, dessen Kopf im Suppenteller liegt. In einem Begleitschreiben dankt Helnwein dem Gerichtsmediziner Heinrich Gross für die "humane" Tötung behinderter Kinder. Der ehemalige "Euthanasie"-Arzt hatte in einem Interview betont, nur durch Gift im Essen und nicht furch Spritzen getötet zu haben.
Ab 1973 hat Helnwein für das Profil Artikel über gesellschaftliche Tabuthemen illustriert und dafür viel Kritik geerntet. Ausstellungen wurden geschlossen, beschlagnahmt. Im Jahr seiner ersten Albertina-Schau 1985 wird ihm die Nachfolge seines Lehrers Hausner verwehrt. Der Schockkünstler wandert daraufhin nach Deutschland aus.
Jahrzehnte später sind seine Bilder aktueller denn je. Leicht könnte man beim Grossformat "Kindskopf (Anna)" an Natascha Kampusch denken oder das ins Eck gedrängte Mädchen in "Das Lied II" mit dem Missbrauch durch Erzieher und Priester in Verbindung bringen.
Das Kind wird bei Helnwein zum Stellvertreter des ohnmächtigen Menschen. Der Künstler verstand es, die fatalen Autoritäts- und Verdrängungsmuster ins Bild zu setzen, als die Gesellschaft noch weitgehend blind dafür war. Auf seinem berühmten Selbstporträt, das später ein LP-Cover der Band Skorpions zierte, krallen sich zwei Gabeln in die Augen des Künstlers.
Helnwein profitierte zuletzt freilich auch stark vom Comeback der gegenständlichen Malerei seit dem Jahr 2000. Der Comic-Fan hat böse Micky Mäuse gemalt, Fotos aus der NS-Zeit zur Vorlage für "kritische Historienbilder" genommen oder Stars wie Andy Warhol, Michael Jackson und Marilyn Manson fotografiert. Seine Kinderporträts stellen aber nicht nur numerisch den beachtlichsten Teil seines Oeuvres dar.
Seit 2003 lebt Gottfried Helnwein nicht nur in Irland, sondern auch in Los Angeles. Seit damals haben seine Leinwände XL-Format. Auf zwei mal drei Metern tritt das blutverschmierte Mädchen in der Serie "The Disasters of War" auf.
Mit seinen jüngsten, oft surreal anmutenden Tableaus, die Kids oft bewaffnet zeigen, will Helnwein auf heutiges Elend wie Amokläufe an Schulen oder Kindersoldaten reagieren. Die Wucht von Helnweins frühen Leidenden bleibt unerreicht.
Helnwein and Head of a Child 14 (Anna)
2012




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