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DURCH-DIE-KUNST-VERLIERT-DER-TOD-SEINE-MACHT
July 1, 2013
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Zeitkunst
Zeit Kunstverlag
DURCH DIE KUNST VERLIERT DER TOD SEINE MACHT
Petra Augustyn
Interview mit Gottfried Helnwein - Bildliche Anklage gegen Gewalt, Missbrauch und Unterdrückung
Was ist Ironie für Sie? Wenn eine Invasionsarmee, die jahrelang Massaker an der Zivilbevölkerung verübt "Peace keeping Forces, und diese Operation "Enduring Freedom" genannt wird, wenn das Gesetz, das den Bürgern ihre, verfassungsmässig garantierten Rechte, raubt "Patriot Act" genannt wird. Oder wenn dem Oberbefehlshaber der grössten Militärmacht aller Zeiten, der Friedensnobelpreis verliehen wird und er dann eine Todesliste von tausenden Menschen erstellt, die er durch Drohnen eliminieren lässt.
In Gottfried Helnweins Kunst scheint der Slogan "Die Realität geht über die Fiktion hinaus", der dem surrealistischen Stadium der Ästhetisiereung des Lebens entsprach, überholt. Es gibt keine Fiktion mehr, der sich das Leben entgegenstellen könnte. Hyperreal heisst, dass es kein Original gibt.
Für die Zeitkunst hat Petra Augustyn mit dem österreichischen Künstler gesprochen, der auf seinem Schloss in Irland und in Los Angeles lebt. derzeit ist in der Wiener Albertina eine Retrospektive zu Helnweins Werk zu sehen.


Herr Helnwein, Sie beziehen sich in Ihrer Kunst auf die Themen Kind, Schrei und Blut? Was bedeutet es in der Kunst Helnweins ein Kind zu sein? Wird der Schrei des verletzten, blutenden Kindes nicht gehört?
Die Schreie der Kinder wurden nicht gehört, als die Kinder in kirchlichen und staatlichen Heimen überall auf der Welt vergewaltigt und misshandelt wurden, sie werden nicht gehört, wenn Landminen ihnen die Arme oder Beine wegreissen, sie werden nicht gehört, wenn sie als Sklaven in Fabriken gepfercht, Konsumgüter für die sogenannte Erste Welt herstellen müssen, oder in der Sexindustrie den Pädophilen-Markt bedienen müssen, sie werden nicht gehört, wenn sie durch Bombenangriffe ihre Eltern, Geschwister und ihr Heim verlieren…
Was es heisst, in meiner Kunst ein Kind zu sein? Vielleicht heisst es, einen Zufluchtsort gefunden zu haben.
Seit meiner frühen Jugend , als ich das erste mal vom Holocaust erfahren habe, habe ich mich geradezu obsessiv mit dem Thema Gewalt auseinandergesetzt. Ich habe nie verstanden, wie man jemandem, der so völlig wehrlos und zerbrechlich ist, wie ein Kind, Gewalt antun kann.
Ich habe eines Tages gerichtsmedizinische Fotografien gesehen, die die Körper zu Tode gequälter Kinder zeigten. Bilder, die ich nicht mehr aus dem Kopf gekriegt habe. Das war der Moment, als ich beschlossen habe, Künstler zu werden. Kunst schien mir die einzige Möglichkeit zu sein, mich dieser Thematik zu nähern und meine Fragen zu stellen.


In Bildern wie "Der ungläubige Thomas" wird es, aus meiner Sicht klar, wie die  Gegenwart die Vergangenheit beeinflussen kann. 1993, als Sie diese Buntstiftzeichnung fertigten, wusste die Gesellschaft noch nicht, oder wenn dann nur durch Mutmaßungen, dass Missbrauchsfälle in der Institution Kirche von statten gehen. Heute, 2013 haben wir es durch sämtlich Gerichtsurteile bestätigt. Es schien als gaben Sie einem Gefühl Ausdruck, dass sie, wahrscheinlich ohne bewusst zu wissen, das es soeben (1993) passiert, also tatsächlich eine Realität ist. Machen Ihnen solche nennen wir es "Vorahnungen aus dem "morphogenetischen" Feld" manchmal Angst? 
Als Künstler sollte man immer voran sein, als Vorhut, als 'Avantgarde' sozusagen. Das ist ja die eigentliche Aufgabe des Künstlers - Dinge aufzuspüren und sichtbar zu machen, die die meisten lieber nicht wahrnehmen, lieber unsichtbar lassen würden.


Die Doppelmoral. Im Museum fällt mir auf, dass Menschen sich echauffieren über das gezeigte - Krieg, Gewalt (obwohl Sie nichts davon tatsächlich zeigen). Seltsamerweise macht es den gleichen Menschen wenig aus solche Themen in den täglichen Nachrichten als Bildmaterial zu sehen. Danach gehen Sie getrost zum Hauptabendprogramm über, mit Chips und Popcorn, die Verantwortung dafür wird den Politikern gegeben, weil die hat man ja schließlich gewählt. Im Museum allerdings ist es ein Aufreger, da fühlen sich die Menschen "attached". Woran liegt das? Das Museum ist einfach nur ein anderes Medium, das Format ist größer als im TV, oder in der Tageszeitung. Oder liegt es einfach nur daran, dass Kunstwerk und Betrachter einander bedingen?
Die Negativnachrichten von Terroranschlägen, Wirtschaftskrise, Serienmördern und Kriegen mit denen uns die Medien ständig überfluten, bewirken ja nur eines: Hilflosigkeit, Ratlosigkeit, und ein Gefühl des Ausgeliefertseins. Und die Gewissheit, nichts daran ändern zu können, treibt die Menschen in Resignation und Apathie.
Aber wenn Kunst sich mit dem Schrecklichen beschäftigt, hat das die genau entgegengesetzte Wirkung: Ich habe noch nie jemanden gesehen, der bei der Betrachtung eines Bildes von Hieronymus Bosch, oder Goya depressiv wurde. Selbst von einem Bild, das die Gräuel der Hölle, oder den Wahnsinn des Krieges darstellt, fühlt man sich inspiriert, emporgehoben. Die Unentrinnbarkeit des Schreckens wird durch die Ästhetik transzendiert und relativiert. Durch die Kunst verliert der Tod seine Macht.


Herr Helnwein, welche Philosophen haben Sie  geprägt, und sagen Sie jetzt bitte nicht Donald Duck und Entenhausen, auch wenn es wahrscheinlich so ist. 
Die Ideale der Aufklärung: Logik und Vernunft, die Bergpredigt und die Lehren Buddhas.
Also: Siddhartha Gautama, Jesus von Nazareth, Voltaire und Donald Duck.


Die unterdrückte Freiheit - was meinen Sie damit?
In unserer schönen neuen Welt, wird von der Grundannahme ausgegangen, dass jeder Mensch ein potentieller Terrorist oder Serienkiller ist und dass er deshalb rund um die Uhr überwacht werden muss. Wir müssen immer wieder aufs Neue nachweisen, dass wir unschuldig sind. Vor jedem Flug müssen wir die Schuhe ausziehen, alle Flüssigkeiten abgeben und alles ablegen was aus Metall ist, dann müssen wir durch den Röntgenscanner und uns abtasten lassen. Vor der Einreise in die USA werden jedesmal alle Fingerabdrücke elekronischen abgenommen und die Iris fotografiert, dann folgt das Verhör eines misstrauischen uniformierten Beamten.
President Bush hat mit seinem 'Patriot Act' die Amerikanische Verfassung weitgehend ausgehebelt und Obama hat mit seinem 'National Defence Authorization Act', das Werk beendet und die beste Verfassung der Welt endgültig zur Makulatur gemacht. Laut diesem Gesetz kann nun jeder jederzeit verhaftet, und für immer weggesperrt werden, ohne Angaben von Gründen, unter Verweigerung eines Anwaltes, ohne jedes Verfahren. Ein vager Verdacht genügt. Wenn man nun noch bedenkt, dass unzählige Geheimdienste und Spionageorganisationen jedes unserer Telefongespräch und jede e-mail abhören und speichern, und der Direktor des CIA kürzlich ankündigte, dass in Zukunft auch in alle elektrischen Geräte, also in Mikrowellenherde, Waschmaschinen, Kopierer etc. Teile eingebaut werden, die alles aufzeichnen können, was in diesem Raum vorgeht, dann beschleicht mich langsam der Verdacht, dass wir gerade dabei sind unsere Freiheit zu verlieren.


Was ist Ironie für Sie?
Wenn eine Invasionsarmee, die jahrelang Massaker an der Zivilbevölkerung verübt "Peace keeping Forces", und diese Operation "Enduring Freedom" genannt wird, wenn das Gesetz, das den Bürgern ihre, verfassungsmässig garantierten Rechte, raubt "Patriot Act" genannt wird. Oder wenn dem Oberbefehlshaber der grössten Militärmacht aller Zeiten, der Friedensnobelpreis verliehen wird und er dann eine Todesliste von tausenden Menschen erstellt, die er durch Drohnen eliminieren lässt.


Malerei muss sein wie Rockmusik - was meinen Sie damit?
Ich habe das mal in meiner Anfangszeit gesagt, weil mir der Pseudo-Intellektuallismus, die elitäre Wichtigtuerei der Kunstszene auf die Nerven gegangen ist. Ich habe mich immer nach einer Kunst gesehnt, die sich direkt vermittelt, die selbstevident ist, die man im Bauch spürt, die einen ergreift, bis ins Mark erschüttert und bewegt, und nicht irgendwelche Totgeburten, die erst durch langatmige Erklärungsversuche irgendwelcher Theoretiker einen Sinn kriegen sollen.
Jede Kunst müsste die ursprüngliche, primitive Kraft haben, wie 'Jumping Jack Flash' von den Stones, dachte ich, auch in der Malerei.


Welche Fotografen haben Sie beeinflusst?
Gar keine. Als ich Anfang der 70er Jahre zu fotografieren begonnen habe, kannte ich überhaupt keine Fotografen. Ich habe aber auch seit dem nicht viele Fotografen gesehen, die mich besonders interessiert hätten. Aber Cindy Sherman mag ich, die aber keine Fotografin ist, sondern eine Künstlerin, die mit dem Medium Fotografie arbeitet. Sie hat eine wunderbar eigenwillige und sperrige Bildsprache entwickelt.


Sie selbst sagten einmal, dass Sie keine Uniformierungen mögen. Verzeihen Sie mir bitte die Fragen, ich mag ihr Outfit, jedoch erinnert es mich manchmal an eine Art Uniform. Tuch, Brille, dunkle Kleidung. Ist Ihre Kleidung ein Statement und wenn ja, wofür? 
Ich kann mich nicht erinnern, etwas über 'Uniformierung' gesagt zu haben, aber wenn Sie das Thema schon anschneiden, Wikipedia z.B. definiert diesen Begriff so:
'Als Uniform bezeichnet man gleichartige Kleidung, um optisch einheitlich (lateinisch-französisch: uniform) in der Öffentlichkeit aufzutreten. Die Uniform symbolisiert die Funktion ihres Trägers und/ oder dessen Zugehörigkeit zu einem Verband und zu einer Organisation. Mit dem Tragen der Uniform wird auch der Korpsgeist der Uniformträger ausgebildet und gefestigt".
Ich wüsste jetzt auf Abhieb nicht, Welchen Verband oder welche Organisation mein Bandana repräsentieren soll. Ich bezweifle auch, dass ich damit irgendeinen Korpsgeist festigen kann.
Aber wenn ich mich umschaue und überall Männer sehe, die sich schmale Stoffstreifen um den Hals binden, die sie Krawatten nennen, dann frage ich mich auch: 'Ist diese Kleidung ein Statement? Und wenn ja, wofür?


Wenn Sie für eine Woche die Welt regieren könnten, was würden Sie verändern? 
Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges ist die Welt im permanenten Kriegszustand.
In diesen Kriegen starben bisher mehr als 50 Millionen Menschen. Zig-Millionen wurden verletzt und verstümmelt, ganze Nationen wurden in die Steinzeit zurückgebombt und versanken im Chaos. Keine dieser Militärischen Interventionen hat irgend ein Problem gelöst, oder irgend jemandem geholfen, ausser dem Military Industrial Complex und dessen Banken. Und da das Geschäft mit dem Tod gar so gut läuft, werden die Kampfhandlungen auf immer neue Länder ausgeweitet, Trotz weltweiter Wirtschaftskrise, und rigoroser Sparmassnahmen im Sozialbereich, Unterricht und Kultur, werden die Militärbudgets ständig weiter erhöht. Noch nie sind so viele Waffen produziert und exportiert worden. Darunter Landminen, die wie Spielzeug aussehen, damit Kinder animiert werden, sie anzufassen.
Die Amerikanische Regierung hat ganz offiziell die Folter wieder eingeführt, die sie jetzt aber netter Weise als "Enhanced Interrogation" bezeichnet.
Der Friedensnobelpreisträger im Weissen Haus, führt eine Todesliste von Menschen, irgendwo in der Welt, weit weg von Amerika, deren Leben durch Drohnen ausgelöscht wird. Tagtäglich, wie auf dem Fliessband. Tausende sind bisher auf diese Weise getötet worden, darunter viele Kinder. Keiner kennt ihre Namen, niemand weiss, was ihnen überhaupt vorgeworfen wird.
Gleichzeitig wächst die Zahl der Geheimdienste, die keinerlei demokratischer Kontrolle mehr unterworfen sind, und deren Macht mittlerweile ins unermessliche gewachsen ist. Jeder Augenblick unseres Lebens wird elektronisch überwacht und gespeichert. Das 'Big Brother'-Szenario Orwells ist mittlerweile durch die Wirklichkeit längst überholt worden. Darüberhinaus haben Grosskonzerne wie Monsanto die Welt mit Genmanipulierter Nahrung überschwemmt. In den USA enthalten bereits mehr als 90% aller Nahrungsmittel genetisch manipuliertes Material. Das Ziel ist offensichtlich das totale Monopol auf auf die gesamte Ernährung und die Beseitigung aller biologisch/natürlichen Agrarprodukte.
Was ich ändern würde? All das. Das Kulturbudget mit dem Militärbudget zu vertauschen, wäre der Anfang.


Und zum Abschluss frage ich mich noch. Was werden uns Ihre Bilder in 20 Jahren zeigen? 
Um diese Frage zu beantworten, müssen Sie mir schon ein bisschen Zeit geben. 20 Jahre oder so…






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