International Press
May 24, 2013
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KULT- MALER IM TALK
APA
"Kinderbilder schockierten, weil sichtbar wurde, was Leuten unsichtbar lieber wäre"
Heute eröffnet die Wiener Albertina eine große Retrospektive zu Gottfried Helnwein. Der österreichische Künstler, der seit vielen Jahren in den USA und in Irland lebt, hat mit seinen hyperrealistischen, oft schockierenden Darstellungen bandagierter und blutender Kinder, mit seinen gequälten Selbstporträts und mit seinen düsteren Donald Duck-Bildern seine ganz eigene Zeichensprache etabliert. Im APA-Interview spricht Helnwein über mangelnde "Verdrängungsmechanismen", die Sehnsucht nach Entenhausen und den nahenden Untergang der westlichen Zivilisation.
Gottfried Helnwein
2013
Ab Samstag ist in der Albertina eine Retrospektive Ihres Werks zu sehen. Genießen Sie einen Rückblick?
Gottfried Helnwein: Ich mag den Moment, wo man gezwungen ist, zurückzuschauen und das Werk kritisch zu betrachten. Das ist wie ein Relevanztest. Was ist wichtig genug? Was hält? Ich glaube, das ist die Sorge, die jeder Künstler irgendwo hat. Ist etwas bleibend oder vielleicht doch überschätzt? Außerdem ergibt sich für mich die Gelegenheit, die Originale wiederzusehen - die Bilder gehören mir ja alle nicht mehr. Da merke ich, dass da Welten sind zwischen dem Original und der digitalen Reproduktion. Ich merke, dass manche Werke eine Aura haben und eine irrsinnige Kraft.
Wie sind Sie an die Auswahl herangegangen?
Helnwein: Ich habe mehrere Retrospektiven gehabt, und es ist jedes Mal ein bisschen anders. In der Albertina habe ich das Glück, dass die Räumlichkeiten sehr geeignet sind für einen chronologischen Ablauf. Erstmals werden dadurch relativ vollständig vom allerersten Bild an die Fotografie und die Aktion den Aquarellen und Zeichnungen gegenübergestellt. Ich bin ja zwischen meinen Werkgruppen immer hin und her gesprungen. Meine Ausstellungen zu hängen ist deshalb nicht leicht. Es gibt Künstler, bei denen der Kurator nach Geschmack hängen kann und es sieht dann so oder so gut aus. Bei mir ist es immer eine Gesamtinstallation, und eine andere Hängung würde völlig andere Effekte erzeugen.
Wie sehr sind Ihre Arbeiten Dokumente einer Generation, eines bestimmten Zeitgeists?
Helnwein: Ich denke, dass sie Dokumente einer ganz bestimmten Zeit sind, und dass man aus ihnen in 200 Jahren sehr viel über ihre Zeit erfahren könnte. Das ist ein Aspekt, der mich bei Kunst immer interessiert hat. Ich habe durch die Bildenden Kunst und die Literatur immer mehr über Geschichte erfahren als durch Historiker. Literatur, Bilder, Architektur erzeugen ein viel intimeres, direkteres Verständnis - es ist wie eine Zeitreise. Man versteht, wie Leute gedacht und gehofft haben. Aber natürlich hat jedes relevante Kunstwerk immer auch eine universelle Aussage.
Ihre frühen Kinderbilder haben schockiert. Heute sind die Themen - Gewalt und Missbrauch an Kindern - ein sehr präsenter Teil des öffentlichen Diskurses.
Helnwein: Die Leute haben es als Schock empfunden, weil ich sichtbar gemacht habe, was ihnen unsichtbar lieber gewesen wäre. Nicht, dass ich irgendetwas gewusst hätte. Aber ich wusste, dass ich mich damit beschäftigen muss, es war eine Obsession. Wenn man jetzt die Aufarbeitung mitbekommt, dieser massive Missbrauch in Heimen und Institutionen, der genau in der Zeit passiert ist, als ich die Bilder gemalt habe, dann ist das irgendwie gruselig. Ich habe mir das ja nicht ausgesucht, aber offenbar waren da bei mir die Verdrängungsmechanismen nicht ganz so entwickelt.
Wann und warum sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, das Kind zum zentralen Motiv zu machen?
Helnwein: Das war der Grund, warum ich überhaupt zu malen begonnen habe. Das Thema Gewalt, auch der Krieg und vor allem der Holocaust war für mich unglaublich wichtig. Das war ein Schockerlebnis, als ich erfahren habe, was da war. Es hat ja keiner freiwillig erzählt, aber als Kind und Jugendlicher habe ich schon gebohrt und dann mit Akribie viele grauenhafte Details zusammengetragen. Das hat alles verändert. Mein Vertrauen in die Gesellschaft war komplett gebrochen. Ich wusste, das ist meine Elterngeneration, die das gemacht hat. Das war ihr Werk, ihre Zeit. Und diese heile Welt, die man in der neuen jungen Republik der Hämmer und Dome zu verbreiten versuchte, das was so ekelerregend, so unattraktiv. Für mich und meine Generation war die amerikanische Kultur die Zuflucht. Der Comicstrip, die direkte Übertragung, die Begeisterung. Daher auch meine Sehnsucht nach Entenhausen, dieser utopischen Welt.
Heute leben Sie in Amerika. Weniger Krieg gibt es da aber auch nicht...
Helnwein: Genau deshalb bin ich dort. Ich finde es lästig, dass die meisten Menschen nicht informiert sind. Die finden dann Amerika entweder scheiße oder toll. Um der Wahrheit näher zu kommen, gibt es nur einen Weg: differenzieren, differenzieren. Amerika besteht, wie alles, aus vielen Realitäten. Eine ist das wunderschöne Land. Eine andere diese eigenwillige, faszinierende Kultur, die das 20. Jahrhundert ästhetisch dominiert hat. Sie hat die Welt komplett verändert, so wie früher einmal das Barock oder die Renaissance. Und davon ist immer noch etwas übrig. Es ist nicht mehr die Hochzeit, sondern eine sterbende und dekadente Kultur. Aber es ist wie, wenn man am Ende des römischen Imperiums in einem halb verlassenen Rom gelebt hätte: Da war immer noch viel da.
Die amerikanische Vormachtstellung geht also zu Ende?
Helnwein: Amerika dominiert die Welt nach wie vor. Nicht die Politiker, aber die internationalen Konzerne, die Banken. Jedes zweite Wort in den Zeitungen ist Goldman Sachs, das kommt zuerst, dann kommt der Bankrott eines Landes. Das kommt aus Amerika, diese Skrupellosigkeit. In Amerika hat der Raubkapitalismus endgültig den totalen Sieg errungen. Er hat nur ein Ziel, "profit at any price". Man macht Länder Bankrott, man destabilisiert ganze Regionen, weil ein Bürgerkrieg ein Riesengeschäft ist. Man sieht auch hier: Wenn jemand nach der Macht strebt und alles andere, alle Bedenken weglässt, dann hat er kurzfristig unglaublichen Erfolg. Auch Hitler ist dafür ein gutes Beispiel.
Aber der Erfolg ist nicht von Dauer...
Helnwein: Es ist das Ende einer riesigen Ära. Die westliche Zivilisation wird untergehen und der nächste Börsenkrach alles in den Schatten stellen, was bisher war. Aber auch dabei ist Amerika das Zentrum, da will ich leben. Ich will nicht der sein, der gewartet und gehofft hat, dass alles vorübergeht. Ich bin besessen davon, mitzubekommen, was wirklich los ist. Ich will der sein, der offenen Auges dabei ist, der sieht, das geht schlecht aus und die Flucht antritt.
Kommt dann die Heimkehr?
Helnwein: Ich habe immer zwischen verschiedenen Welten gelebt, das ist meine Vorstellung von Heimat. Amerika, Irland, Österreich. Meine kulturellen Wurzeln sind natürlich mit Österreich verbunden. Ich komme auch sehr gerne hierher. Und ich beobachte, seit ich 1985 weggegangen bin, wie sich Wien verändert. Ich bin verblüfft, welches Ausmaß an Zufriedenheit und Wohlstand hier herrscht. Ich glaube, objektiv ist es Österreich nie so gut gegangen. Dieser Überfluss und die soziale Sicherheit sind geradezu utopisch, wenn man aus Amerika kommt. Die Schulen sind gratis, der Staat finanziert Spielplätze! Das gigantische kulturelle Angebot in Wien: Mal sehen wie lang es hält, aber im Moment ist es toll.
Sie werden immer noch gern als "Schockmaler" bezeichnet. Gleichzeitig zeigt der ORF anlässlich Ihres 65ers eine Doku über Ihr harmonisches Familienleben. Wie passt das zusammen?
Helnwein: Das Problem ist die Presse. Es werden Begriffe formuliert und dann wird das in alle Ewigkeit überall wiederholt. Ich lese manchmal Interviews mit mir, da stehen Sätze drin, wenn ich sowas gesagt hätte, dann müsste ich sofort aufs Klo gehen und mich aufhängen. Das Niveau ist bodenlos tief geworden. Es geht immer um griffige Klischees. Wenn die wenigstens fantasievoll wären - aber sie sind immer primitiv. Vor allem wird man alles, was einmal publiziert wird, durch das Internet nie wieder los. Dass die Zeit alle Wunden heilt, gilt durch das Internet nicht mehr.
Die ORF-Doku (Mo, 27.5.) zeigt ja aber ein ganz anderes Bild: Ihre Kinder, die selbst Künstler sind, und das enge Familienleben... Wenn das im Zentrum steht, sind Sie dann stolz oder fühlen Sie sich dann alt?
Helnwein: Mit Kindern fühle ich mich nie alt. Ich habe mich immer als Verbündeter betrachtet, nie als Vorgesetzer oder Vater im klassischen Sinn. Kindererziehung fand ich immer...nicht optimal. In meiner eigenen Kindheit war alles schrecklich, vor allem diese Bevormundung und Unfreiheit. Meine Überzeugung war immer, echten Respekt vor dem Kind zu haben. Wenn man es von Anfang an mit Respekt und als Persönlichkeit behandelt, dann kann das nur gut gehen. Bei uns war das immer so. Es hat niemals einen Konflikt gegeben. Es ist eine tiefe Freundschaft.




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