Selected Authors
June 1, 1981
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H.C. Artmann
H.C. Artmann über Gottfried Helnwein
Helnwein, Monographie
Orac Pietsch Verlag, Wien
einer erstellt die summe seiner beobachtungen in dieser welt der patzer und dämonen. er vernimmt die schreie aus den gekachelten schreckträumen abseits einer satten gesellschaft, die weder mit dem laub der bäume noch mit dem grün der laubfrösche noch mit den froschaugen des miterlebens zu schaffen haben will. er aber hört manche, die da schreien bis ihnen die gehirne zerspringen wie lichtjahre, und hört andere, still vor sich hinweinende, deren tropfende tränen eines noch-hoffens mit dem abscheulichen eisskalpell der hoffnungslosigkeit seziert werden.
schreien - was ist menschlich daran? was bleibt an ihm menschlich? der kopf ist noch nicht vom rumpf geschnitten, liegt aber bereits auf dem glatten flachen porzellan des behenden chirurgen. eine plastische operation? eine drastische transplantation? a surgical trick? or a trickster disguised as a surgeon? wer viel fragt, endet langsam. solange man nicht eines lebewesens schädel mit kalten feuerzangen schlägt bis dieser die anfangsgründe des platzens erlernt, mag praktisch angewandte humanität halten - vielleicht bis mitte winter.
nachdem die schreie fertiggeschrieen sind, ringelt sich die tüllweiße natter des verbands um betroffene glieder, eine gipsfarbene hülle über einen stadtplan voller unfälle oder, kleiner noch, über die genauere karte eines viertels der verletzungen, inneren, äußeren, über adern, die sich zu schmerzblauen seen ausweiten.
los angeles, manhattan oder das suburbe wien durch ein klinisch einwandfreies sieb auf die melancholischen reste eines infantilen nässer gerüttelt erscheinen am horizont, ein fröstelnder stich durch die männliche psyche, ein fiebriger durch die weibliche. oder ist es der pistolenschuss durch ein blutgefülltes reagenzglas, das man wieder hinzukriegen sucht mittels saftigem leukoplast?
immer heißt es recht haben und die schatten des unrechts verteidigen, schatten, die wie menetekel an knallharten wänden sozialer anstalten aufkommen, taugiftig, wundrosig, geschwollen, benarbt, auf prothesen laufend, mit armstümpfen flehend...
um diese zeit klagen viele, es ist februar. inzwischen ist es mai bis juni geworden, eine schreckliche gasse vorbei an schillernden rissen und rinnsalen verschiedener abgänge, durch seitenwege, die verstopften stirnhöhlen oder nasen ähnelten, durch die engen kanäle blutverlassener venen. einer notiert den neurotischen austritt durch das antiseptische fenster des animalischen ablebens - kein noch so sauberer mantel, der das verdecken kann.






HC Artmann, Lesung bei der Helnwein-Ausstelungseröffnung, Münchner Stadtmuseum, 1983
1983



Poet HC Artmann und Renate Helnwein
1983




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